Durch die gestrichenen Fensterscheiben drang so gut wie kein Tageslicht in die Stallungen, zum Glück hatte jeder von uns eine kleine Maglite am Gürtel. Der Lichtkegel meiner Taschenlampe wanderte
durch den Raum, indem einst mal Stallungen waren. Ein Großteil der Stallungen wurde abgebaut, und deren Trennwände sah man hier seitlich aufeinander gelagert, dafür standen jetzt an diesen
Plätzen Unmengen an Paletten, tiefgrüne Kisten sowie ein großer Stapler. In der Raummitte stand ein LKW dessen Spriegel und Planen seitlich weggezogen waren; entweder wurde er abgeladen oder er
sollte beladen werden. Ich verglich das Kennzeichen mit dem, das Yves heute morgen notiert hatte: 4672 BAF 84; es war das gleiche, das auch in Ann-Katrins Notizbuch drei mal in größeren Abständen
auftauchte, dies war also der Versand der angehäuften Sachen in den Stallungen.
Die grünen Kisten gab es in mehreren Größen, sie waren schwarz bedruckt mit FIM-43 Redeye, FIM-92 Stinger, MIM-72 Chaparral oder INS. Ich notierte mir diese Bezeichnungen, bis es auf einmal
lebendig am Funkgerät wurde, Robert und Francis Stimmen überschlugen sich, und gleich drauf konnte ich Gabis Stimme erkennen. Verstehen konnte man absolut gar nichts aus dem ganzen Stimmengewirr,
aber wenn ich eins und eins zusammen zählte, dass alle drei auf Beobachtungsposten waren, um von Bellheim und Lebourg überwachten, dann könnte es sein, dass sich beide auf den Weg in meiner
Richtung befanden. Mein Kopf arbeitete auf Hochtouren, ich leuchtete hastig alles in meiner Umgebung ab um ein geeignetes Versteck zu finden. Rechts von mir an der Wand gab es einen hölzernen
Treppenaufgang, davor standen Kisten. Ich hastete zur Treppe und schaffte es gerade noch mit einem Sprung an den Kisten vorbei unter die Treppe, als sich hinter mir die Tür der Stallungstores
öffnete und den Umrissen nach zwei Personen die Stallungen betraten.
Die Treppe hatte den Vorteil, dass die Stufenzwischenräume nicht ausgefüllt waren, so konnte ich verfolgen, was sich vor mir abspielte. Was wiederum den Nachteil mit sich brachte, dadurch
leichter Entdeckt zu werden. Ich drückte mich so gut es ging in die Ecke nach hinten und hoffte, dass die Dunkelheit mich nicht preis gab. Als erstes hörte ich von Bellheims gereizte Stimme „Wir
müssen das Problem Chové endlich in den Griff bekommen, der will jeden Monat mehr und mehr, der bekommt den Hals nicht voll genug. Nicht nur, dass er jeden Monat Kohle bekommt, nein er fordert
jetzt auch noch 20% vom Kuchen. Jacky, ich hab mich auf dich verlassen, du hast gesagt du hast diesen Idioten im Griff, das wäre alles kein Problem und jetzt werden die Probleme immer größer.“
Ich konnte von meinem Platz aus die beiden schemenhaft zwischen dem LKW und den Kisten erkennen. Lebourg war wohl gerade im Begriff sich eine Zigarette anzuzünden, als auf einmal von Bellheim
explodierte. Mit einer blitzschnellen Handbewegung schlug er Lebourg die Zigarette aus dem Mund bevor er sie anzünden konnte und schrie ihn hart an „Du bist doch wahnsinnig, willst du uns alle in
die Luft jagen? Hier lagert soviel von dem ganzen Scheiß, dass nur noch ein Krater zu sehen wäre dort, wo die Burg steht, und du mußt dir mittendrin ne Kippe anzünden. Ich bin gerade froh, dass
wir das heiße Material in dem Bunker lagern. Bist du so weltfremd oder bist du einfach nur bescheuert? Mensch Jacky, am 28´sten habe wir es hinter uns, da sitzen wir im Lufttaxi nach Paris, ein
Jet wartet dort vollgetankt, der uns nach Südamerika mit 100 Millionen Dollar im Gepäck fliegt, wir werden nie mehr irgendwelche krummen Dinger drehen müssen, und du setzt alles aufs Spiel mit
einer Zigarette!!“ Und es passierte etwas, das ich nicht einkalkulierte, jemand von uns mußte wohl auf die Sprechtaste seines Funkgerätes gedrückt haben, den es knackte laut und ein kurzes
Rauschen wurde hörbar. Mein Herz pochte bis zum Hals, ich hatte Angst, dass die beiden mein Herz hörten, so heftig wie es schlug, auch wenn es nur Einbildung war, aber es fühlte sich so an das
man es außerhalb meines Körpers hören könnte. „Pssst, hast du das gehört?“ fragte Bellheim Jacky „Was? Ach, hier in dem modrigen Gemäuer da wimmelt es nur so von Ratten, die sind auch hier in den
Stallungen“ erwiderte Jacky genervt. Natürlich schaltete ich meine Funkgerät sofort aus, bevor wieder so etwas passierte. „Was passiert mit dem Jungen, diesen Fabian? Er war mit den ganzen Blagen
auf dem Friedhof, ich glaube nicht, dass es Zufall war“ führte Jacky weiter aus. „Ach was willst du, das sind Kinder, vielleicht hatten sie einen Bezug zu dieser verschrobenen Tante, und um
Fabian mach dir kein Gedanken, der fliegt mit uns und wird noch handzahm, dem bringe ich schon noch bei was es heisst, Respekt zu haben. Bete du nur, dass die Polizei dabeibleibt, dass da ein
Bauer mit seinem Traktor dieses Unglück verursachte. Sollte nochmal sowas in der Art vorkommen bring ich die Deppen selber um, das schwör ich dir“ beendete Bellheim sein Gefluche. „Alex, also für
die Fahrer kann ich auch nichts, das liegt ja auch nicht in unserer Hand, wer uns die Ware vom Lieferanten bringt, und Chové wird nächste Woche Geschichte sein, da kümmere ich mich drum. Ich
werde ihm eine kleine Aufwandsentschädigung anbieten und sollte er immer noch gierig sein, stopfe ich ihm sein Maul“ „Sehr gut, ich verlaß mich auf dich Jacky, wenn nicht wirst du die Zeche
bezahlen“ untermauerte Bellheim Jackys Ausführungen. Im Rauslaufen forderte Bellheim Jacky auf den LKW bis morgen früh fertig zu beladen da die Ladung am Dienstag in Marseille erwartet
wurde.
Mein Kreislauf erholte sich so langsam von dieser Stresssituation, meine Beine zitterten noch, und ich mußte erst ein paar Minuten sitzen bleiben. Ich schaltete das Funkgerät ein und meldete
mich, um abzufragen, wie die Situation draußen ist und wo sich Bellheim und Lebourg aufhielten. Yves berichtete mir, dass Bellheim in sein Büro gegangen war, während Lebourg in sein Auto
gestiegen und die Burg verlassen hatte. Das Zittern ließ nach und ich machte mich auf den gleichen Weg zurück, auf dem ich hergekommen war. Gabi stand schon draußen am Fenster, sie war bereit mir
wieder die Räuberleiter zu machen, aber erstmal musste ich etwas finden, um hier von innen hoch zu steigen. Ich fand in der Schmiede einen Stuhl, mit dem ich es schaffte, aus dem Fenster wieder
heraus zu kommen. Gaby fiel mir um den Hals, als ich endlich den Boden erreichte. „Ich hatte so Angst, dass sie dich da drin entdecken“ sagte sie mir, während sie mich umarmte. „Ach, brauchst
keine Angst zu haben, Unkraut vergeht nicht“ brachte ich ihr mit einem Lächeln entgegen; natürlich sprach ich nicht darüber, wie mir mein Hintern auf Grundeis ging.
Vorne im öffentlichen Bereich warteten schon die anderen auf uns. Wir verließen die Burg, um auf dem Parkplatz, an dem wir unsere Fahrräder abgestellt hatten, alles zu besprechen bzw. ich mein
Erlebnis schildern konnte. Um den Zusammenhang zu der ganzen Geschichte verstehen zu können, erzählte ich nun auch mein eigenes Erlebnis mit Bellheim bzw. dem Brief, meiner Mutter und was ich in
den Stallungen belauscht hatte. Ich sah die Betroffenheit in den Gesichtern meiner Freunde. Julia wischte eine Träne aus den Augenwinkeln, während Gabi sie in den Arm nahm. „Ach jetzt hört mal
auf Trübsal zu blasen und Staatstrauer zu tragen, kein Mensch der Welt wird mich hier weg bringen und Bellheim ist der Letzte auf diesem Planeten, mit dem ich mitgehen werde.“ „Mensch Fabian die
wollen dich entführen oder verschleppen und du bist seelenruhig, als ob nichts gewesen ist“ schrie mich Robert fast an. „Wer sagt das?? Kein Mensch hat das behauptet, und beweisen können
wir es erst recht nicht, wir wissen das er mit meiner Mutter darüber sprechen will, und ich denke nicht das meine Mutter mich gehen lassen wird, ich glaube deshalb hat sie mir bisher nichts
gesagt, weil sie mit Sicherheit nicht will, dass ich mir Sorgen mache, und was bringt es uns wenn ich jetzt daran verzweifle, wenn es vielleicht nie eintreffen wird. Meint ihr, es wäre
förderlich, wenn ich mich jetzt hinsetze und heule, wir müssen jetzt intensiv daran arbeiten, dass wir unsere Vermutungen auch beweisen können, damit wir die ganze Bande hinter Schloss und Riegel
bringen“ versuchte ich mit diesen Worten der Angst, die hier in der Luft lag, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich kann ja verstehen, dass sich alle Sorgen machen, und innerlich wühlt es mich
schon sehr auf, diese Situation, aber wir müssen alle einen klaren Kopf bewahren, wenn wir ein Ergebnis wollen.
„Ich schlage vor, dass wir über den Waldweg zurück fahren, um zu schauen, ob wir Barriél an seiner Hütte antreffen, er weiß mit Sicherheit noch mehr und wird einige Antworten für uns haben.“ Alle
stimmten mir zu, und wir machten uns auf den Weg. Als wir ankamen an den drei Eichen, versteckten wir unsere Fahrräder in den Büschen und liefen zu Barriéls Versteck. Wir sahen von weitem, dass
etwas nicht so war, wie es sein sollte. Es gab diese große verwilderte Gestrüppwand nicht mehr, man konnte direkt dort hinlaufen wo wir eigentlich seine Hütte vermuteten aber es gab nichts mehr
dort, nicht ein Stück Holz lag mehr hier rum, das einzige, was darauf deutete, dass wir richtig waren, war eine kleine Senke im Boden mit verbrannter Erde, das waren mal eine Feuer und
Grillstelle die von Bruchsteinen eingerahmt waren aber noch nicht mal die Steine lagen mehr hier. Es war so sauber, dass es für einen Wald schon zu sauber war. Irgend jemand hatte sämtliche
Spuren von Barriél vernichtet.
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